TREC-National in Wintzenheim / Frankreich
Über Wintzenheim-Kochersberg, einem kleinen elsässischen Ort zwischen Straßburg und Saverne, war am Wochenende vom 1. - 3. August der Ausnahmezustand hereingebrochen. Seine engen Gassen konnten die Unmenge Pferdetransporter kaum fassen. Knapp 60 Reiter waren zum Teil aus den entferntesten Regionen Frankreichs hierher gekommen und hatten, wie z.B. die Teilnehmer aus der Bretagne, eine 12stündige Anfahrt in Kauf genommen, um an diesem TREC der Kategorie national teilzunehmen. Die meisten von ihnen zählten zu den französischen TREC-Reitern mit dem Status Elite, die unter den kritischen Augen ihres Nationaltrainers letzte Punkte für eine Nominierung zur Teilnahme am Weltchampionat sammeln wollten.
Über Stunden war der Ort kaum passierbar. Nicht nur Fahrzeuge verstopften die Gassen, sondern mittendrin drängten sich auch noch 60 Pferde mit ihren Reitern, die auf engstem Raum geduldig darauf warteten, nach einer Begutachtung durch den Veterinär ihre Starterlaubnis zu erhalten. Erstaunlich, wie friedlich sich die fremden Pferde bei dem äußerst geringen Individualabstand verhielten, es gab kein Gerangel oder gar Ausschlagen, nicht einmal Drohgebärden. Die allgemein freundlich-fröhliche Atmosphäre schien sich auch auf die Pferde übertragen zu haben.
Unter diesen Umständen wird kaum einer der Angereisten den historischen Fachwerkhäusern mit ihren schönen farbigen Fassaden, den romantischen Innenhöfen, oder der sehenswerten Kirche Aufmerksamkeit geschenkt haben. Umgeben ist der Ort von leicht hügeligem Weinanbaugebiet, bestens geeignet für den knapp drei Kilometer langen PTV-Parcours. Für einen anspruchsvollen Orientierungsritt, der einem TREC auf nationalem Niveau gerecht werden sollte, barg dieses offene Gelände nach Ansicht des Nationaltrainers zu wenig Schwierigkeiten. Den POR hatte man deshalb in ein besser geeignetes Gebiet mit größeren Höhenunterschieden und viel Wald verlegt.
Für die Teilnehmer hieß es deshalb am Samstag erst einmal verladen, ungefähr eine halbe Stunde mit dem Auto nach Marmoutier fahren, und dann das städtische Freizeitgelände ansteuern. Dort befand sich ein großer Parkplatz mit reichlich Raum zum Satteln. Unter dem Vordach der Sporthalle war eine mobile Meldestelle eingerichtet sowie Tische und Bänke zum Abzeichnen der Reitstrecke aufgebaut worden.
Der erste Reiter ging um 8 Uhr an den Start, der letzte um 12:45 Uhr. Den ganzen Tag über war es unerträglich heiß, und wer konnte, verkroch sich in den Schatten. Helfer und Zuschauer bedauerten die armen Reiter, die bei der Mittagshitze losreiten mußten, oder sich im Glutofen des Waldes befanden. Selbst der Akku des im Auto zurückgelassenen Fotoapparates gab wegen der hohen Temperaturen seinen Geist auf, dies ist auch der Grund für die dürftige Illustration dieses Berichtes.
Wasser, Wasser, immer wieder Wasser war das höchst begehrte Gut. Um den Tagesbedarf eines Reiters decken zu können, hätte man bei diesem Ritt ein Packpferd gebraucht. Wegen der lang anhaltenden Trockenheit waren alle natürlichen Wasserstellen ausgetrocknet. Glücklicherweise führte die Route an einem Brunnen vorbei, wo selbst Pferde, die noch nie mit Trense im Maul saufen konnten, ihren Kopf bis über die Nüstern ins Wasser steckten, und mit blubbernd aufsteigenden Luftblasen ausgiebig ihre Durst stillten.
Der POR hatte eine Länge von fast 50 km, diese waren in 10 Etappen eingeteilt. Zusätzlich gab es vier Passagepunkte, wovon einer nicht angeritten werden durfte. Für Auslassen eines Kontrollpunktes erhielt man 100 Strafpunkte, für Anreiten von der falschen Richtung 50 und für jede Minute Abweichung von der vorgegebenen Zeit zwei Strafpunkte. Die Tempovorgaben lagen zwischen 6 und 14 km/h. Es galt Wege zu finden, die von der Vegetation im Laufe des Sommers so zugewachsen waren, dass die Einstiege mit bloßem Auge nicht zu erkennen waren. Auf der Suche nach dem richtigen Weg mußte man unter Berücksichtigung der zurückgelegten Entfernung und unter Einhaltung der Himmelrichtung in den dichten Wald eintauchen. Dies gelang manchmal auf Anhieb, manchmal fand man die richtige Spur aber erst nach mehrmaligen "Tauchversuchen". Ein anderes Mal war ein Zick-Zack-Kurs durch ein Labyrinth von Waldschneisen angelegt worden. Hier kam es ganz besonders darauf an, die zurückgelegte Meterzahl exakt zu bestimmen, um die vorgegebene Schneise zu erwischen, denn alle sahen gleich aus.
Auf einer anderen Etappe sollte mit Hilfe von drei Koordinaten des UTM-Gitters von Punkt zu Punkt geritten werden. Dies erwies sich als besonders schwierig, da innerhalb der Karte keine Hilfsmarkierungen für das geforderte UTM-Gitter vorhanden waren. Man war also gezwungen, die Schnittpunkte der Koordinaten vom Rand der 1 m x 1,30 m großen Karte zu ermitteln, und dies auf naturbelassenem Erdboden. Unter diesen Umständen war es unmöglich, die Punkte genau zu bestimmen, so dass man später diesen Teilabschnitt des POR aus der Wertung heraus genommen hat.
Nach viel, viel Schweiß und etwa 10 Stunden Reitzeit gelangten die Teilnehmer müde und erschöpft an den letzten Kontrollpunkt in der Nähe des Parkplatzes, von dem sie gestartet waren. Froh, es endlich geschafft zu haben, in Gedanken ein erfrischendes, kühles Bier, näherten sie sich entspannt dem Posten. Zu früh gefreut! Hier war nicht das Ziel, dies musste erst noch anhand von 12 Marschzahlen gefunden werden.
Sich jetzt wieder zusammen zu nehmen und die geforderte Aufgabe konzentriert und korrekt auszuführen, verlangte ein hohes Maß an Selbstdisziplin. Die späten Starter hatten zusätzlich noch mit den Schwierigkeiten der Dunkelheit zu kämpfen. Wenn nicht schon die Hitze den einen oder anderen mürbe gemacht hatte, dann drängte sich manchem spätestens zu diesem Zeitpunkt die Frage auf: "Wozu mach ich dies hier eigentlich alles, muß ich das wirklich haben!"
Anhand der Marschzahlen wurde man durch die engen Straßen der Stadt Marmoutier geführt, dabei kam man unter anderem zu einer nicht einmal einen Meter breiten Gasse, die keinen Ausgang erkennen ließ. Jetzt mußte man sich entscheiden, war dies der richtige Weg und sollte man hier tatsächlich durch, oder war es nur ein Spalt zwischen zwei Häusern. Wenn es eine Sackgasse gewesen wäre, hätte man 30 m rückwärtsrichten müssen, denn wenden war unmöglich. Selbst Reiter mit extrem schlanken Pferden entschieden sich, besser abzusitzen, um nicht stecken zu bleiben.
Wer diese knifflige Passage durchquert hatte, wurde anschließend um eine romanische Kathedrale herumgeführt und landete wenig später auf dem mit blühenden Oleanderbäumen gesäumten Vorplatz der Abtei. Dort wurden die Ankommenden mit fröhlichem Beifall und kühlem Bier begrüßt. Ein großer Brunnen bot Pferden und Reitern gleichermaßen die lang ersehnte Erfrischung. Danach war der Fußweg zum Parkplatz und die Heimfahrt nach Wintzenheim eine reine Erholung. Bis lang nach Mitternacht wurde noch für die letzten Heimkommenden frischer Flammkuchen in zwei leckeren Variationen zubereitet und selbstverständlich gab es auch Getränke soviel man wollte.
Nach einer warmen Sommernacht, manch einer zog es vor, im Freien zu schlafen, war am nächsten Morgen ab 7 Uhr die tierärztliche Nachuntersuchung angesetzt.
Ab 9 Uhr wurde dann zur Gangartenprüfung gestartet, die oberhalb von Wintzenheim auf einer leicht abfallenden Wiese ausgetragen wurde. Dort war viel Platz zum Abreiten vorhanden, doch die Sonne brannte wieder erbarmungslos. Schwere Düfte von Nelkenextrakt bis Stinköl lagen in der Luft, um die Insektenschwärme von den Pferde fernzuhalten. Auch bei der Rittigkeitsprüfung wurde bei diesem TREC auf nationalem Niveau die Meßlatte sehr hoch angesetzt. Selbst kaum wahrnehmbares Rutschen über eine Grassode galt als Fehler.
Schon die Besichtigung des PTV-Parcours in der Mittagshitze zu Fuß erforderte einige Überwindung. Auf einer Strecke von 2.800 m waren 18 Hindernisse in 15 Minuten zu bewältigen. Beneidet wurde derjenige, der ein Mountainbike dabei hatte, und erst recht der Nationaltrainer, der im offenen Geländewagen stehend den Parcours abfuhr und dabei die Endabnahme vornahm.
Kein Hindernis war ohne Komplikationen, zu jedem hatte man sich eine besondere Schwierigkeit einfallen lassen. So waren dem Labyrinth und dem Tiefsprung jeweils ein Baumstamm als Pflichttor vorgelagert. Unmittelbar an den Tiefsprung schloß in sehr engem Bogen ein Aufsprung an. Das Durchreiten der Gasse wurde durch einen Aufsprung erschwert, und die hängenden Äste hinter einer Kurve auf leicht gebogener Linie. Am Fuße eines langen, steilen Abstiegs, der wegen der Zeitvorgabe mindestens im Trab genommen werden mußte, folgte im rechten Winkel der Slalom. Dabei hatte man zu beachten, dass jede Volte vor einem Hindernis mit drei Strafpunkten belegt wurde. Als weitere Kombination waren zwei Hecken mit einem Galoppsprung Abstand in einem Zug zu überwinden. Schwierig war auch das Rückwärtsrichten unmittelbar nach einem Grabensprung. Alle Hindernisse waren solide gebaut und geschickt in das Gelände eingepaßt.
Trotz knapp bemessener Zeit war es den meisten Reitern möglich, diese einzuhalten. Bei der Benotung der Hindernisse wurden wieder hohe Maßstäbe angesetzt.
Die vorderen drei Plätze belegten Jean de Chatillon, Ken Poste und Pierre-Guilaume Blache. Von den vier deutschen Teilnehmern erritt Caroline Mahlke einen ausgezeichneten 9. Platz, Ingo Meyer und Florian Mahlke liegen mit Platz 25 und 26 im Mittelfeld und Beatrix Mahlke erlangte Platz 39. Wenn man berücksichtigt, dass die vier Deutschen gegen 54 der besten TREC-Reiter Frankreichs angetreten waren, von denen mehrere schon Weltmeisterschaften gewonnen hatten, können alle mit ihrem Ergebnis zufrieden sein.
Wie immer in Frankreich gab es für jeden Teilnehmer wunderschöne Stallplaketten, Schleifen und Präsente. Ein riesen Aufgebot von Helfern sorgte dafür, dass die Veranstaltung für Reiter, Richter und Gäste gleichermaßen zu einem vergnüglichen Wochenende wurde.