WM-Erfahrungen eines TREC-Pferdes

Bericht: Akunita (Vera Lohrman)



Hallo, liebe Leser,

ich bin die Hannoveraner Hauptstutbuchstute Akunita von Akitos xx (Warendorf). Meine Besitzerin, Reiterin und Züchterin Vera Lohrmann aus Nahrendorf-Neestahl im Landkreis Lüneburg hat mich vor 12 Jahren höchst eigenhändig aus meiner Mutter, der Hannoveraner HStBStute Wild Kunama von Welsh City xx/ Römischer Prinz, gezogen - denn mein linkes Vorderbein lag zurück und meine Zunge hing schon ziemlich blau aus meinem Schnäuzchen, und wenn sie nicht eingegriffen hätte, hätte ich heute wohl nichts zu erzählen ...Meine Mutter ist übrigens bei bester Gesundheit fast 28 Jahre alt geworden, bis zuletzt geritten worden und erst Anfang dieses Jahres in den Pferdehimmel davongaloppiert. Hoffentlich werde ich auch mal so fit so alt ...Von ihrem Mitteltrab und ihrer Galoppade kann ich als Vollblut-Tochter zwar nur träumen, aber auch mit meinen eher flachen Bewegungen gibt es doch eine Pferdesportart, in der ich es zu internationalen Erfolgen gebracht habe - und davon möchte ich Euch heute erzählen. Denn, wie wir alle wissen, gibt es unter uns Hannoveranern nicht nur die erstklassigen Dressur- oder Spring-Pferde, sondern die allermeisten von uns sind prima vielseitig begabte Freizeitpferde, die bei entsprechender Ausbildung von Dressur oder Springen bis zum Fahren, Voltigieren oder Distanzreiten alles mitmachen und unsere Reiter gern und zuverlässig durch dick und dünn tragen - auch ohne Turnierambitionen. Und genau diese vielseitige Begabung wird beim Wettkampfmäßigen Wanderreiten gebraucht, einer Sportart, die ihre Wurzeln in Frankreich hat und ursprünglich zur guten Ausbildung von Wanderreitführern beitragen sollte. Daher auch der französische Name: Techniques de Randonnée Equestre de Compétition, oder kurz: TREC. Ausführliche Informationen zum Reglement und zu Veranstaltungen findet man also im Internet unter www.trec.de. Wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann, ist das Wettkampfmäßige Wanderreiten eine sehr pferdefreundliche Sportart, bei der zu unserer Sicherheit und Gesunderhaltung mindestens drei tierärztliche Kontrollen stattfinden, ähnlich wie beim Distanzreiten oder in der Military, obwohl dort die Anforderungen an unsere Gesundheit und Ausdauer ungleich härter sind.

Wie läuft nun so ein Wettbewerb ab? Er besteht (nach tierärztlicher Eingangsuntersuchung und Ausrüstungsüberprüfung) aus drei Wettkampf-Teilen: dem Orientierungsritt über ca. 40-45km, der Gangartenprüfung und dem Geländeritt. Der erste Tag wird für den Orientierungsritt gebraucht. Hier ist zunächst einmal der Reiter gefragt, der als erste Aufgabe innerhalb von 20 Minuten eine vorgegebene Strecke (eingezeichnet auf eine topographische Karte 1:25.000 oder 1:50.000) auf eine zur Verfügung gestellte gleiche topographische Karte übertragen muß. Unser Job dabei ist nur, in Ruhe angebunden neben dem Kartenraum stehen zu bleiben, denn fremde Hilfe, also auch das Halten eines teilnehmenden Pferdes, ist während des ganzen Wettbewerbs verboten (außer im Falle von Gefahr natürlich).

So eng wird das aber meist nicht gesehen, und wenn man nur hungrig genug guckt, kann man doch das eine oder andere Leckerchen von den Zuschauern abstauben... Dann kommt unser Reiter aus dem Kartenraum, möglicherweise mit der Karte zwischen den Zähnen, Butterbrot und Reithelm in den Händen, die Jacke unter dem Arm, Kompaß und Kartentasche um den Hals, und wahrscheinlich leise fluchend, weil die Übertragungszeit doch mal wieder sehr eng wurde. Nachdem er alle Utensilien und sich selbst auf unserem Rücken verstaut hat, geht es los - und zwar mit einem bestimmten Tempo, das für den ersten Abschnitt im Kartenraum aushängt und zwischen 6 und 12km/h liegen kann - hoffentlich hat er nicht vergessen, hinzugucken...Zwischen 6 und 12km/h ist wirklich nicht schnell, wenn man bedenkt, daß ein rüstiger menschlicher Zwei-Fußgänger 6km/h schafft. Für uns als Vier-Fußgänger ist natürlich auch das Doppelte, also 12km/h, kein Problem - wenn, ja wenn unser Reiter immer gleich den richtigen Weg finden würde ...

Meistens sieht es aber eher so aus, daß wir ständig irgendwo anhalten müssen, während der Mensch auf uns mit der Karte raschelt oder den Kompaß zur Ruhe zu bringen versucht. Und dann ist anschließend auch mal ein kleiner Galopp drin - bis zur nächsten Wegekreuzung...So bewegt man sich auf dem hoffentlich richtig abgezeichneten und richtig gefundenem Weg mit einigermaßen richtigem Tempo, bis irgendwo auf dem Weg plötzlich zwei ziemlich niedrige Fähnchen ein Tor bilden und ein Kontroll-Mensch aus dem Gebüsch tritt, der unsere Ankunftszeit notiert - und ob wir auch wirklich aus der richtigen Richtung gekommen sind. Kommt man nämlich aus der falschen Richtung, weil man irgendeine Abzweigung verpaßt hat, gibt es 30 Minuspunkte, findet man den Kontrollpunkt gar nicht, 50 Minuspunkte, und für jede Minute, die man gegenüber der Sollzeit zu schnell oder zu langsam ist, gibt es einen Minuspunkt. Naja, die Minuspunkte interessieren unsereins natürlich herzlich wenig, aber in den Kontrolllen sind meistens Kollegen schon da, und so kann man sich ein bißchen über die mangelnde Findigkeit der Reiter austauschen, denn es wird

einzeln im 5Minuten-Takt wieder gestartet, damit man nicht nur dem vermeintlich richtig reitendem Vorreiter bloß hinterherzockelt So bewegt sich man sich selbständig denkend und suchend (zum Glück nur der Reiter) durch den Tag, mit ziemlich vielen Kontrollpunkt-Pausen (wieviele, wird vorher allerdings nicht verraten), bis einem ein Kontroll-Mensch dann endlich erklärt: hier ist jetzt das Ziel!!!





Am 2.Tag findet die sogenannte Gangartenprüfung auf einer 150m langen Bahn statt, die man möglichst langsam galoppieren soll und möglichst schnell im Schritt zurücklegen soll, wobei man den Reiter sehr schön ärgern kann, wenn man auch nur einen Trabtritt einbaut - dann gibt's nämlich 0 Punkte für das Teilstück. Anschließend wird es erst richtig lustig, es geht zum "Geländeritt" (als ob der erste Tag nicht auch ein Geländeritt wäre). Aber hier sind nun auf einer Strecke von 2,5 bis 5km echte Hindernisse eingebaut, die uns und unserem Reiter sehr viel Spaß machen können - oder auch nicht. Man kann seinen Reiter wahlweise in eine Hecke, in einen

Graben (je nachdem naß oder trocken) oder über einen Baumstamm werfen, statt selber zu springen, man kann ihm beim Bergauf- oder Bergabführen auf die Füße treten, statt in ordentlichem Abstand zu bleiben, man kann wie ein störrisches Maultier stehen bleiben, statt dem Reiter brav den Aufsprung hinauf oder den Absprung hinunter zu folgen, dafür beim anschließendem Wieder-Aufsteigen herumhampeln, statt ruhig stehenzubleiben, man kann vor dem Pferdehänger auf dem Absatz kehrt machen, statt sich gesittet hineinführen zu lassen, man kann sich beim Slalom die Beine verknoten oder dem Reiter das zu öffnende Tor aus der Hand reißen, im Labyrinth kann man die Begrenzungsstangen abräumen, beim Rückwartsrichten die vorgegebene Bahn verlassen, und als krönenden Abschluß könnte man sich noch im Wasser hinlegen... Aber wir sind ja friedliebende Tiere, die meistens versuchen, es ihren Menschen recht zu machen, und so freuen sich unsere Reiter dann an den maximal 10 Punkten, die für jedes der maximal 16 Hindernisse zu erreichen sind, und die u.a. auch eine Stilnote

darstellen. Die Gangart zwischen den Hindernissen ist beliebig, es gibt aber eine Maximalzeit, sodaß man sich auch nicht zuviel Zeit lassen sollte, wenn man sich mit einem Hindernis nun so gar nicht anfreunden kann. Alles überstanden? Dann werden die ganzen Punkte zusammengezählt und am Ende weiß man nicht nur, wie gut man selber war, sondern vielleicht auch, wie schlecht die anderen waren.. Seit 1999 bin ich nun im Wettkampfmäßigen Wanderreiten aktiv und hatte sogar schon dreimal die Ehre, bei den entsprechenden Welt-Wanderreit-Championaten für Deutschland an den Start zu gehen: 1999 in Avenches/Schweiz, 2000 in Mauterndorf/Österreich, und vom 10.-12- September 2004 in Zweibrücken (Saarland). Und diesmal waren wir richtig gut! Als gastgebende Nation durfte Deutschland diesmal 12 Reiter nominieren, von denen vier nicht nur als Einzelreiter, sondern auch für die Mannschaftswertung an den Start gingen. Meine Reiterin und ich wurden neben Beatrix v. Enzberg-Mahlke auf dem Andalusier Jarrito, Bess Klingmüller auf dem Connemara Barlo und Constanze Klöcker auf dem Warmblut Florian in die Mannschaft gewählt, und zu unserer ganz großen

Überraschung wurden wir bei der Siegerehrung in der Mannschaftswertung für die Bronzemedaille aufgerufen!!! Das ist im Wettkampfmäßigen Wanderrjeiten die erste Mannschafts-Medaille für Deutschland seit 1997 überhaupt wieder! Aber die allergrößte Überraschung kam erst noch, als die Einzelwertungen für die drei Teilprüfungen aufgerufen wurden: Meine Reiterin traute ihren Ohren nicht, als wir beide als Sieger des Geländeritts aufgerufen wurden und einen riesigen Pokal (Hafereimer?!) abschleppen mußten. Das ist nämlich seit Beginn der Medaillenzählung 1993 überhaupt noch keinem deutschen Pferd-Reiter-Paar gelungen, und ich bin mächtig stolz auf unsere Leistung! Aber ich war auch superbrav beim Stillstehen und Aufsteigen, habe beim Rückwärtsrichten, im Labyrinth und am Tor sehr gut auf meine Reiterin gehört, bin über Hecke, Baumstamm und Graben und unter den hängenden Ästen hindurch so gut wie geflogen, eifrig hinter ihr her auf den Wall und wieder hinunter und unter ihr wieder hinauf gesprungen, vorsichtig über den Wall und über die Brücke gegangen - nur im Wasser bin ich einmal stehen geblieben, weil ich trinken wollte, und Slalom kann ich auch nur im Trab, nicht im Galopp, wie es eigentlich sein sollte. Aber solche kleinen Schönheitsfehler konnten die Begeisterung meiner Reiterin natürlich nicht bremsen, als wir tatsächlich als Sieger dieser Teilprüfung aufgerufen wurden... Der Orientierungsritt ist uns auch recht gut gelungen, wir hatten alle Kontrollpunkte richtig, allerdings haben wir einmal eine halbe Stunde im Wald nach dem richtigen Weg gesucht, weil, wie nicht ganz selten, Karte und Wirklichkeit kaum zur Deckung zu bringen waren, sodaß wir in dieser Teilprüfung nur 11. von 48 Startern wurden.

Noch schlechter erging es uns in der Gangartenprüfung. Ich als Vollbluttochter und langsam galoppieren! Das lernen wir wahrscheinlich in diesem Leben nicht mehr, und danach bin ich im Schritt immer so aufgeregt, daß ich mindestens einmal anzackeln muß, und das wars dann - 0 Punkte. Aber auch wenn ich die volle Punktzahl erreicht hätte, hätten wir den Österreichern ihre verdiente Mannschafts-Silbermedaille doch nicht mehr abjagen können - der Vorsprung war einfach zu groß, und zu den Franzosen erst recht, die nicht nur die Mannschafts-Goldmedaille, sondern auch den ersten und den dritten Platz der Einzel-Gesamtwertung belegten. In Frankreich, Österreich und der Schweiz ist das Wettkampfmäßige Wanderreiten eben viel bekannter und also auch die Trainings- und Wettkampfmöglichkeiten ungleich besser als hier. Aber vielleicht habt ihr ja nach der Lektüre dieses Artikels auch etwas Lust auf diese vielseitige Art der reitsportlichen Betätigung bekommen, für die wirklich noch gilt: alle Pferderassen, alle Reitweisen, alle Reiter können nach entsprechender Übung mit Aussicht auf Erfolg teilnehmen! Meine Reiterin ist gern bereit, Fragen zu beantworten oder Trainingstips zu geben, und hat sich auch fest vorgenommen, im Frühjahr einen Trainingstag auf unserem Reiterhof im Landkreis Lüneburg anzubieten. Insbesondere freut sie sich über Interesse aus dem norddeutschen Raum, denn nördlich der Linie Cottbus - Halle - Göttingen - Dortmund sind wir scheinbar immer noch die einzigen, die sich für das Wettkanpfmäßige Wanderreiten begeistern können. Also ruft an unter 05855/978477 oder mailt an Praxis.Lohrmann@web.de!

Herzliche Grüße aus dem Landkreis Lüneburg von Vera Lohrmann und Akunita

Fotos: Dehe, Feltes, Hertz, Wenzel